Kampf um jeden Liter

Warum Schmierstoffe so schlecht verfügbar sind, die Preise rasant steigen und wir endlich nachhaltig handeln müssen.

Der 14. Februar 2021 und die darauffolgenden Tage und Wochen werden vielen Texanern für lange Zeit in schlechter Erinnerung bleiben. Der Jahrhundertsturm und seine Folgen sorgten für Stromausfälle, Wasserknappheit und eine humanitäre Katastrophe großen Ausmaßes.

Dass diese Naturkatastrophe deutschland- und europaweit massive Versorgungsprobleme und Höchstpreise im Schmierstoffsektor nach sich ziehen würde, hätten damals wohl die Wenigsten für möglich gehalten. Nur fünf Wochen später ist die Situation am europäischen Schmierstoffmarkt überaus angespannt und der Markt überschlägt sich.

Warum die Preiserhöhung so oder so fällig war.

Es war absehbar, dass strukturelle Änderungen in der Raffinerielandschaft zu spürbaren Preiserhöhungen führen würden. Der pandemiebedingte Absatzeinbruch bei Kerosin und Benzin erhöht den Kostendruck in hohem Maße. Die für den Schmierstoffmarkt wichtige Galp-Raffinerie in Portugal wird geschlossen und auch Shell hat bereits die mittelfristige Schließung von sieben der dreizehn Rohölraffinerien angekündigt. Wo die Schmierstoff-Fraktion bisher „mitproduziert“ wurde, wird nun durch Kapazitätsreduzierung der Margendruck auf die Nebenströme wie Grundöle deutlich erhöht.

Die Ankündigung von Preiserhöhungen seitens der Raffinerien war also zu erwarten. Trotz einiger Anlagenrevisionen in Westeuropa hätten die etablierten Mechanismen sicher auch dieses Jahr funktioniert. Jeder begann sein Lager etwas hochzufahren, um die Preiserhöhung für einige Wochen aufzufangen. Das allgemeine Gefühl war: „Das wird schon nicht so schlimm werden...“

Als jedoch zeitgleich zu den Preiserhöhungen die Petro-Industrie in Texas ausfiel, kam es zum Chaos.

Neben den Ölraffinerien wurden nämlich 70% der amerikanischen Ethylenproduktion stillgelegt. Was passiert, wenn die meistproduzierte Grundchemikalie knapp wird, spüren die weltweiten Rohstoffmärkte gerade schmerzhaft. Die Verfügbarkeit von Kunststoffen, Tensiden und vielen weiteren Chemikalien schwindet global innerhalb weniger Tage.

Weil Schmierstoffe neben Grundöl auch diverse chemische Additive benötigen, ist die Lage somit auch für uns auf einmal dramatisch geworden.

Asien

Während Europa aktuell mit der dritten Corona-Welle zu kämpfen hat, scheint Asien die Krise effektiver gemeistert zu haben. Dort befindet sich die Konjunktur im Aufwind. Analysten von JP Morgan prognostizieren gar eine „asiatische Dekade“. Motoren des aktuellen Booms sind vor allem China, Taiwan, Südkorea und Indien, aber auch Staaten wie Vietnam holen immer stärker auf.

Asien deckte in den letzten Monaten den immens steigenden Bedarf an Stahl und Schmierstoffen unter anderem durch den massiven Ankauf europäischer Ressourcen, während die gestiegene asiatische Binnennachfrage gleichzeitig zu einer Reduktion des Exports nach Übersee führt. Die daraus resultierende extreme Preissteigerung am Stahlmarkt droht den Aufschwung in Europa zu gefährden. Einige Hersteller von Fässern haben bereits Kurzarbeit angekündigt, teilweise sind Stahlgebinde gar nicht lieferbar oder extrem teuer.

Und jetzt?

Um die Versorgung weiterhin zu gewährleisten, wird aktuell alles gekauft, was verfügbar ist. Kunststoffgranulate, Tenside und diverse Mineralölspezialitäten sind weit im Voraus ausverkauft. Die Liste der nicht lieferfähigen Tensid-, Ester- und Spezialchemieproduzenten wird jeden Tag länger.

Die Konsequenz daraus sind nun Ankündigungen von Preiserhöhungen für die Endverbraucher. Preissteigerungen von bis zu 100% führen mittlerweile auch den optimistischsten Kollegen der Branche die Folgen vor Augen. Teure Rohstoffe, geringe Produktionskapazitäten und globale Konkurrenz um knappe Ressourcen sind die Auslöser für einen Kampf um jeden Liter und jeden Cent, wobei die derzeit katastrophale Verfügbarkeit den Preis fast egal erscheinen lässt, schaut man sich die Bestellanfragen der letzten Tage an.

Die Branche erhöht gezwungenermaßen die Preise und sucht nach Möglichkeiten, den Bedarf zu decken. Die Situation ähnelt, vereinfacht gesprochen, der Knappheit an Toilettenpapier zu Beginn der Corona-Krise. Man kann davon ausgehen, dass sich die Situation nach zwei bis drei schwierigen Monaten wieder entspannen wird und im dritten und vierten Quartal eine Normalisierung eintritt. Und dann – weiter wie bisher? Durch Globalisierung der Märkte und die wirtschaftliche Verschiebung gen Asien steht der deutsche Mittelstand, der Garant für unseren Wohlstand, unter massivem Druck: Was an günstigen Arbeitskräften und Masse fehlt, muss durch Innovation, Prozesse und Hightech ausgeglichen werden. Die deutsche Industrie braucht also vor allen Dingen Partner, die mit möglichst geringem Aufwand maximale Ergebnisse erzielen können. Dies ist für den Schmierstoffsektor eine große Chance zur Transformation.

Für unsere Kunden muss es weitergehen

Unsere oberste Priorität in den nächsten Wochen ist, den reibungslosen Ablauf bei unseren bestehenden Kunden zu garantieren. Dies wird uns zweifellos gelingen, auch wenn die Situation herausfordernd ist. Jetzt gilt es, klug, ganzheitlich und nachhaltig für den Kunden zu agieren.

Mittel- und langfristig muss sich unsere Branche noch viel stärker als Berater des Kunden positionieren, der vor allem den ganzheitlichen Prozess und Total Cost of Ownership im Blick hat. Weg von „Wann können wir zu welchem Rohertrag pro Liter liefern?“ hin zu „Was haben wir im Produktionsprozess für den Kunden ganzheitlich erreicht?“

Vor allem daran sollten wir uns in Zukunft messen lassen.


Quellen

https://www.chemistryworld.com...

https://www.argusmedia.com/en/...

https://www.metalltechnischein...

https://www.lubesngreases.com/...

https://www.lubesngreases.com/...

https://www.welt.de/wirtschaft...

Kategorie: Allgemein
Eintrag vom 23.03.2021


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